Gelegentlich hört man eine alte Kriegsgeschichte, die das Vertrauen in die Menschlichkeit wiederherstellt. Gewöhnlich gibt es darin einen Augenblick der Ruhe inmitten der ganzen Verwüstung, irgendjemand singt oder gibt ein paar Bier aus. Aber wie viele dieser Geschichten haben sich über den Wolken zugetragen?
Dies ist die unglaubliche Geschichte eines angeschossenen amerikanischen Bombers, der von einem deutschen Jägerpiloten verschont wurde. Nachdem die beiden Piloten mitten in der Luft einen Moment der Einsicht miteinander teilten, schien es mehr als unwahrscheinlich, dass sie sich jemals wiedersehen sollten. Doch dieses Treffen passierte tatsächlich und sie standen sich näher als Brüder.
Alles trug sich einige Tage vor dem Weihnachtsfest des Jahres 1943 zu, als der alliierte Bomberfeldzug voll angelaufen war. Der zweite Lieutenant Charlie Brown war ein frisch ausgebildeter Bomberpilot. Er und seine Mannschaft brachen gerade zu ihrem ersten Auftrag auf – die Zerstörung einer Flugzeugfabrik in Norddeutschland.
Browns B-17F Flying Fortress, die er als Ye Olde Pub bezeichnete, war zur damaligen Zeit der typische amerikanische Bomber. Neben einer Bombenlast von 3.628 kg war das viermotorige Flugzeug mit elf Maschinengewehren bewaffnet und mit einer strategisch platzierten Panzerung ausgerüstet. Die B-17er bewegten sich auf einer Flughöhe von etwa 8.230 m, verfügten jedoch nicht über Druckkabinen. In dieser Flughöhe ist die Luft kalt und dünn – bei 60 Grad unter Null. Die Piloten und die Crew vertrauten auf das bordeigene Sauerstoffsystem und wirklich warme Fliegeranzüge mit beheizten Schuhen.
Als sich Ye Olde Pub Bremen näherte, eröffneten Luftabwehrbatterien das Feuer auf die Formation. Die Piloten und die Mannschaft von Ye Olde Pub hatten das Unglück, dass eines der Luftabwehrgeschosse direkt vor dem Flugzeug explodierte. Dabei wurde Motor Nummer Zwei zerstört und Motor Nummer Vier beschädigt. Da nun ein Motor fehlte und der andere aufgrund der Beschädigung nicht mehr mit voller Leistung eingesetzt werden konnte, konnte Ye Olde Pub nicht mehr mit der Formation mithalten.
B-19-Bomber waren dafür bekannt, dass sie viele Kugeln und Treffer der Luftabwehr-Flaks schlucken konnten und es trotzdem noch nach Hause schafften, aber das alles gab es nicht umsonst. Die Panzerung, welche die Mannschaft und die wichtigen Bereiche des Flugzeugs schützte, war schwer in Mitleidenschaft gezogen und wirkte sich negativ auf die Fluggeschwindigkeit aus. Obwohl das Flugzeug mit einer Reihe von schweren Maschinengewehrtürmen ausgestattet war, gab es dennoch Bereiche am Flugzeug, die den gegnerischen Flugzeugen ungeschützt ausgesetzt waren. Das U.S. Army Air Corps löste dieses Problem, indem man viele Flugzeuge als gestaffelte Formation fliegen ließ, sodass Bomben abgeworfen werden konnten, während einige andere Flugzeuge die Defensivlücken der anderen Flugzeuge der Formation deckten, indem sich die Feuerbereiche überlappten.
Der Nachteil dieser Anordnung war, dass einzelne Flugzeuge keine Ausweichmanöver fliegen konnten (da sie dabei riskierten, von den Bomben und vom Maschinengewehrfeuer der eigenen Kameraden getroffen zu werden). Außerdem waren Nachzügler den Angriffen gegnerischer Flugzeuge vollkommen ausgeliefert. Vergleicht das im Geiste mit einer Gruppe schneller und wendiger Cowboys, die eine Büffelherde jagen. Die beiden Gruppen sind für die jeweils andere Gruppe eine große Gefahr, aber wenn ein trödelnder Büffel die Sicherheit der Herde verlässt, gibt es für ihn fast keine Hoffnung mehr.
B-17F-Formation über Schweinfurt, Deutschland, 17. August 1943
Brown und seine Mannschaft gerieten vom Regen in die Traufe. Sie fielen hinter die Formation zurück und Ye Olde Pub musste gnadenlose Angriffe von 15 deutschen Jägern überstehen. Die Maschinengewehre des Bombers holte einen davon vom Himmel, aber die Gefahr blieb weiterhin immens. Der Heckschütze wurde getötet und vier weitere Mannschaftsmitglieder wurden verletzt. Darunter war auch Brown, der sich einen Geschosssplitter in der Schulter zuzog. Die einzigen noch funktionierenden Geschütze waren der obere Turm und das Geschütz in der Nase. Die Hydraulik- und die Sauerstoffsysteme des Bombers waren außer Betrieb. Das Flugzeug ging in eine Spirale und taumelte dem Boden entgegen.
Was nun geschah, berichten wir entsprechend Browns Erinnerungen, der den Interviewern Jahre später erzählte, dass sein Verstand etwas mitgenommen war, da seine Schulter blutete und er unter Sauerstoffmangel litt.
Ye Olde Pub blieb von weiteren Angriffen der gegnerischen Jäger verschont. Irgendwie schafften es Brown und sein Kopilot, das Flugzeug 300 Meter über dem Boden wieder zu stabilisieren.
Auf dem Weg zum Meer kreuzte Ye Olde Pub ein deutsches Flugfeld. Lt. Franz Stigler, ein Jägerpilot der Luftwaffe, war gerade erst nach dem Abschuss zweier B-17er zurückgekehrt und sah Ye Olde Pub vorbeischlingern. Natürlich schickte er sich an, dem Flugzeug nachzujagen, doch der Anblick ließ jegliche Feindseligkeiten schwinden, die noch in ihm steckten. Er sagte den Interviewern im Jahre 1991, dass er entsetzt gewesen sei, wie viel Schaden der Bomber erlitten hatte. Sein Nasenkonus fehlte und im Rumpf klafften einige riesige Löcher. Er konnte zusehen, wie die Mannschaftsmitglieder die Verwundeten versorgten, und die meisten der Geschütze des Flugzeugs hingen schlaff nach unten, da sie niemand mehr bemannte.
Stigler hielt die Distanz und blieb außer Reichweite der beiden noch funktionierenden Geschütze, aber er flog in einem Abstand von nur sechs Metern zur von Kugeln durchsiebten B-17. Er versuchte, Brown mit Handsignalen Zeichen zu geben.
Seine Nachricht war einfach: Landet dein Flugzeug in Deutschland und ergebt euch oder fliegt nach Schweden. Dieser Haufen Schrott wird es nicht mehr bis nach England schaffen.
Brown starrte völlig perplex durch sein Seitenfenster und konnte nicht glauben, was er da erlebte. Er hatte sich schon viele Male zu den Verlusten gezählt. Doch dieser seltsame deutsche Pilot gab ihm Handzeichen. Er würde das Flugzeug auf keinen Fall in Deutschland landen, aber der Pilot blieb an seiner Seite und hielt andere Jäger von ihm fern, bis sie die Nordsee erreichten. Als deutlich wurde, dass Brown nicht in Deutschland landen würde, salutierte Stigler, drehte ab und entfernte sich von den albtraumhaften Erlebnissen, die Ye Olde Pub an diesem Tag durchlebt hatte.
Der Bomber schaffte es zurück bis nach England und konnte dabei kaum mehr 75 Meter zwischen sich und dem Boden halten. Er landete in einem rauchendem Haufen erschöpfter Männer und zerfetztem Metall. Jahre später würde Brown berichten, in einem Gespräch mit Stigler hätte er sich bei dem Angebot zwischen einer Landung in Deutschland und einem Flug nach Schweden wahrscheinlich für Schweden entschieden. Doch Ye Olde Pub schaffte es und Brown bekam seinen verdienten Schnaps, als er aus dem Flugzeug stieg.
Diese schwer beschädigte B-17 flog weiter, nachdem ein angreifender Bf-109-Jäger mit dem Flugzeug zusammengestoßen war. Die B-17 flog nach Hause und landete in diesem Zustand, ohne größere Verletzungen an einem der Mannschaftsmitglieder.
Der ungläubige Offizier der Einsatzbesprechung war von Browns Geschichte begeistert und erzählte seinen Vorgesetzten umgehend, was sich zugetragen hatte. Er empfahl Browns Mannschaft für eine ehrenvolle Erwähnung, aber der Ruhm war nur von kurzer Dauer. Die Vorgesetzten entschieden, wenn sich herumsprach, dass es einen ritterlichen deutschen Jägerpiloten gab, könnte das die Leben der anderen Mannschaften gefährden, da diese nachlässig in ihrer Verteidigung werden könnten. Alle Einzelheiten über Ye Olde Pubs ersten Auftrag wurden als Geheimnis klassifiziert.
Auch Stigler konnte von seinen Handlung dieses Tages nicht berichten, da ihn dies vor das Kriegsgericht gebracht hätte. Er flog jedoch noch viele Missionen und wurde einer der weltweit ersten Düsenjägerpiloten. Gegen Kriegsende war er einer der wenigen 1.300 überlebenden Luftwaffe-Piloten. Insgesamt waren es 28.000 Piloten gewesen.
Nach jahrelanger ergebnisloser Suche in den Aufzeichnungen der amerikanischen und deutschen Luftstreitkräfte, um Licht in die Identität des Piloten zu bringen, hatte Brown nicht viel herausgefunden. Daher veröffentlichte er einen Brief in einem Informationsblatt der Kampfpilotenvereinigung. Einige Monate später erhielt Brown einen Brief aus Kanada. Er war von Stigler. „Das war ich.“, stand darin. Als miteinander telefonierten beschrieb Stigler sein Flugzeug und sein Salutieren. Mehr musste Brown nicht erfahren, um zu wissen, dass dies kein Scherz war.
Von 1990 bis 2008 wurden Charlie Brown und Franz Stigler wie Brüder. Das Band ihres eindrucksvollen ersten Treffens war der Anfang einer Freundschaft, die sich im Laufe der Jahre weiter festigte. Die beiden Männer blieben bis zu ihrem Lebensende enge Freunde und starben beide in wenigen Monaten Abstand nacheinander im Jahre 2008.
Ihre Geschichte ist für alle Menschen ein Beweis, dass eine große Tat in der Gegenwart das eigene Leben auch noch zu einem viel späteren Zeitpunkt verändern kann.
Quellen: